Rezension: Das alles ist Familie
Was ist eigentlich eine Familie? Dieser Frage gehen Lars und Lina in dem Bilderbuch „Das alles ist Familie“ nach. Lars hat ein Päckchen gefunden, dessen Adressaufschrift leider kaum noch lesbar ist. Es ist nur klar, dass es an eine Familie in seiner Straße adressiert ist. Lars möchte nun unbedingt herausfinden, für welche Familie das Päckchen ist. Lina, bei der er als erstes nachgefragt hat, hilft ihm gerne dabei. Aber sollen sie wirklich bei dem Haus klingeln, in dem zwei Frauen wohnen? Und sind auch Leute ohne Kinder eine Familie? Gar nicht so leicht zu sagen, oder vielleicht doch?
Familie sein ist, wenn man sich liebt
Wie schön, dass hier in diesem Bilderbuch gezeigt wird, was alles Familie ist, denn Familie ist eben nicht einfach nur Mutter, Vater, Kind. Es gibt die unterschiedlichsten Kombinationen und es tritt die Frage auf, was eigentlich eine Familie ausmacht, und woran man eine Familie erkennt. Dabei wird auch eine sehr schöne, und meines Erachtens passende Antwort geliefert: „Familie sein ist, wenn man sich liebt“. Und ja, dazu gehört auch mal ein Streit und die anschließende Versöhnung.
Auch das gefällt mir hier gut: Die Kinder bekommen den Streit der Eltern mit, aber auch, wie sich die Eltern küssen. Klar, ist es nicht schön, wenn Kinder streitende Eltern sehen, aber es gehört zur Realität. Und in diesem Buch, weiß das Kind, dass die Eltern einfach mal wieder eine Auseinandersetzung haben und es vertraut auf die versöhnende Haltung im Nachhinein.
Viele neugierige Kinderfragen
Ein weiterer Punkt, der mir gefällt ist, dass das Ganze aus Kindersicht erzählt wird. Lars und Lina machen sich auf die Suche nach den Empfängern des Pakets. Sie suchen eine Familie und stellen sich dabei die Frage, in welchem Haus eine Familie lebt. Klar, sind alle die vorgestellten Familien „richtige Familien“ und das sollte eigentlich auch selbstverständlich sein, aber in der Realität ist das nicht selbstverständlich und es treten bei Kindern ganz normal Fragen auf, was denn nun eine Familie ist und was nicht. Dazu gehören auch die eigenen Erfahrungen, die Lars und Lina gemacht haben. Diese erklären ihre Ideen von Familien.
Lars zweifelt das eine oder andere Mal, ob eine bestimmte Konstellation eine Familie ist. Die Gedanken sind normal und dürfen auch zugelassen werden. Die Kinder gehen ihren Fragen einfach nach und erfahren, dass es tatsächlich so viele verschiedene Familien gibt. Sie stellen auch den Familien neugierige Fragen, die sie beschäftigen. Viele Erwachsene haben diese Fragen vielleicht auch, würden sich aber nicht trauen, diese einfach zu stellen. Hier geschieht dieses einfach aus Interesse.
Die Verunsicherung, ob auch eine Familie zum Beispiel ohne Mama oder Papa eine Familie ist, wird hier in dem Buch gut genommen. Ich denke, dass hier viele Kinder eine positive Verstärkung bekommen können.
Unterschiedliche Familienmodelle
Am Ende des Buches werden die Familien, denen Lars und Lina im Buch begegnen, noch einmal kurz als Familienmodell vorgestellt: Es gibt eine Familie mit getrenntlebenden Elternteilen sowie eine, bei der ein Elternteil verstorben ist, eine Familie mit Vater, Mutter, Kind, eine Familie mit zwei Müttern oder zwei Vätern, eine Patchwork-Familie, eine Familie, bei der die Elternteile aus unterschiedlichen Ländern kommen und auch die Kinder in verschiedenen Ländern zur Welt gekommen sind, ein Adoptivkind, eine Familie mit vielen Kindern und Oma und Opa im Haushalt und eine Familie, bei der die Elternteile nicht verheiratet sind. Ich glaube, hier wurden tatsächlich die meisten Familienkonstellationen kurz erwähnt und sehr viele Kinder können sich hier wieder finden. Hinzu kommt auch, dass Kinder unterschiedlicher Hautfarbe vertreten sind. Ein Kind sitzt im Rollstuhl, einige Figuren tragen Brillen etc. Hier wird wirklich eine tolle Vielfalt vorgestellt.
Pflegekinder bleiben hier unerwähnt
Vielleicht fehlt hier noch das Modell des Pflegekinds, das doch auch recht häufig vorkommt. Auch ist es in Büchern häufig so, dass ein adoptiertes Kind eine andere Hautfarbe hat, als die Adoptiveltern. Klar, dadurch fällt ein Unterschied auf und man kommt überhaupt erst auf die Frage, ob dies eine Familie ist, wenn man die Familie nicht näher kennt. Andererseits habe ich auch schon mitbekommen, dass weiße Adoptivkinder denken, dass ihre leiblichen Eltern eine dunkle Hautfarbe haben, weil eben in vielen Büchern nur dieser Fall dargestellt wird.
Stellenweise etwas ungenau
Die einzelnen Familienkonstellationen sind vielleicht an manchen Stellen nicht ganz korrekt und in die Tiefe gehend dargestellt, aber da ja die Vielfalt im Vordergrund steht, ist es natürlich nicht so einfach, jedes Modell ausführlich darzustellen. Das kann ein Bilderbuch in diesem Format gar nicht leisten. Hier sollte es dann möglichst ergänzende Gespräche geben.
Bei der Adoption eines Kindes zum Beispiel ist es ja nicht unbedingt so, dass ein Kind keine Eltern mehr hat, häufig wohl eher, dass die leiblichen Eltern sich aus welchen Gründen auch immer, nicht um das Kind kümmern können. Auch wird in dem Bilderbuch hier der Begriff “leibliche Eltern” verwendet, was Kinder vermutlich eher nicht verstehen. Hier sind dann vielleicht noch ein paar Erklärungen von Seiten der Vorlesenden von Nöten. Bei anderen Konstellationen ist es ähnlich. Auch das Modell der Patchwork-Familie ist sicherlich beim ersten Lesen für Kinder nicht direkt verständlich. Der Begriff “leiblich” wird hier ebenfalls verwendet.
Tolles Bilderbuch
Insgesamt ein tolles Bilderbuch über die Vielfalt von Familien, das sicherlich auch zu Gesprächen anregt. Ein solches Bilderbuch sollte es in jedem Kindergarten und am besten auch in jeder Familie geben.
Das alles ist Familie von Michael Engler und Julianna Swaney, arsEdition, ISBN: 978-3-8458-3706-2, 15€
Ich habe euch auf dem Blog bereits in einem anderen Artikel Bilderbücher zum Thema vielfältige Familien vorgestellt, zu dem findet ihr einen Beitrag mit Kinderbüchern, in denen es um fröhliche Familien geht, in denen Vielfalt zur Normalität gehört. Auch das Buch “Das Familienbuch” könnte einen Blick wert sein.