LeseförderungVorlesen

Vorlesen – bis zu welchem Alter?

Eigentlich ist die Frage falsch gestellt, aber ich möchte sie gerne als Gegenpol zu der Frage „Ab wann kann oder soll ich meinem Kind Bücher vorlesen?“ behandeln. Im Prinzip stellt sich für mich aber eher die Frage, wie lange darf ich meinen Kindern vorlesen.

Vorlesen früh beginnen

Die Frage, ab wann man Babys und Kleinkindern vorlesen kann, wird immer mal wieder gestellt und beantwortet und tendenziell sind sich hier alle einig, dass man so früh wie möglich anfangen sollte. Viele Eltern freuen sich auch darauf, mit ihren kleinen Kindern die ersten Bilderbücher zu betrachten und decken sich mit Fühlbüchern, Finger-Krabbelbüchern und Büchern mit den ersten Bildern ein. Die Beschäftigung mit Büchern und das Vorlesen ist ein äußerst wichtiger Teil der Leseförderung, worüber ich auf meinem Kinderbuchblog auch bereits mehrere Artikel geschrieben habe. Ihr findet hier unter anderem 20 Vorlesetipps für Zuhause oder einen Artikel über unsere ersten Bücher für die Kinder.

Vorlesen im Grundschulalter

Heute soll es jedoch über ein anderes Alter gehen und zwar um Grundschulkinder, die gerade lesen lernen oder vielleicht schon lesen gelernt haben. Soll man ihnen eigentlich noch vorlesen oder ist es nicht besser, wenn sie die Zeit nutzen um selber lesen zu üben? Hier möchte ich ganz klar drauf antworten: Lest euren Grundschulkindern unbedingt vor! Egal, an welcher Stelle des Lese-Lern-Prozesses sie gerade stehen.

Auch Kinder, die gerne und viel lesen, lieben es vorgelesen zu bekommen!

Vorlesen für GrundschülerInnen wird vernachlässigt

Ich bekomme leider ganz oft mit, dass Kindern im Grundschulalter nicht mehr vorgelesen wird. Auch in Familien, in denen Wert auf das Lesen und auf Bücher gelegt wird und auf die z.B. das oben beschriebene Verhalten frischgebackener Eltern zutrifft. Ihren kleinen Kindern haben sie gerne Bücher gekauft und sie mit ihnen angeschaut. Auch jetzt sind sie noch bereit Geld in Bücher für ihre Kinder zu investieren, aber dies sind dann häufig Erstlesebücher oder andere Bücher, die die Kinder selber lesen sollen.

Als mein erstes Kinderbuch erschienen ist, haben einige Bekannte es sich besorgt. Eine Mutter jedoch „entschuldigte“ sich, dass sie das Buch nicht kaufe, denn ihr Sohn habe noch große Schwierigkeiten beim Lesen und da würde dieses Buch einfach noch nicht passen. Nein, das ist richtig, zum Selberlesen für Kinder, die gerade erst das Lesen erlernen, ist es noch nichts, aber warum ist der Gedanke, dass man es dann eben gemeinsam liest, einfach nicht da?

Zum Selberlesen für Kinder, die schon gut lesen können, aber auch zum Vorlesen geeignet

Vorlesen für Lesemuffel

Auch wenn mich Mütter ansprechen, weil ihr Grundschulkind noch gar nicht so gerne nach Büchern greift und selber liest, obwohl es doch schon gut lesen gelernt hat, gebe ich häufig den Tipp, einfach noch mal selber vorzulesen. In einem Fall kam die Mutter kurz darauf begeistert bei mir an. Das Vorlesen käme super bei ihrem Sohn an und er lese auf einmal sogar freiwillig. Sicherlich wird durchs Vorlesen nicht aus jedem Lesemuffel ein Leser. Ganz bestimmt nicht, aber die Liebe zu Geschichten und zu Büchern kann erhalten oder geweckt werden. Die Kinder beschäftigen sich mit Büchern, sie erweitern ihren Wortschatz, ihre Fantasie wird gefördert, sie lernen etwas über den Verlauf von Geschichten und ihre Neugierde auf weitere Geschichten wird geweckt. Und Vorlesen ist auch bei älteren Kindern häufig eine geliebte Zeit, in der die Bindung zwischen Eltern und Kind gestärkt wird.

Mein Großer darf abends eine halbe Stunde länger wach bleiben als der kleine Bruder. In dieser Zeit beschäftigt sich das Elternteil, das nicht den Bruder ins Bett bringt, mit ihm und an den meisten Abenden wird dann vorgelesen. Diese Zeit ist meinem Sohn heilig.

Spannende Bücher eignen sich gut dazu, gemeinsam gelesen zu werden.

Lesen lernen ist anstrengend

Man darf nicht vergessen, wie anstrengend und was für ein komplexer Vorgang das Leselernen ist. Eine ganze Menge muss hier begriffen werden und nur mit viel Übung geht es langsam vorwärts. Und wenn man dann endlich die ersten Wörter entziffern und lesen kann, taucht man dabei noch nicht in spannende Geschichten ein. Kinder merken: Lesen ist anstrengend und außer ein paar vorher verschlüsselten Wörtern bekommt man noch nichts dabei heraus. Und je länger und vielleicht auch interessanter die Texte werden, desto mehr Anstrengung wird benötigt. Lesen ist erst einmal viel, viel Arbeit. Und wenn man nicht weiß, dass sich diese Arbeit vielleicht lohnt um in tolle Abenteuer steigen zu können, dann ist man nicht unbedingt motiviert, diese Arbeit auf sich zu nehmen. Möglicherweise bekommt man sogar eine Abneigung gegen alles geschriebene, insbesondere wenn das Lesen einem Kind besonders schwer fällt.

Wenn Kindern in dieser Zeit jedoch vorgelesen wird, dann haben sie vielleicht immer noch keine Lust selber lesen zu lernen und sich anzustrengen, aber sie haben die Möglichkeit Bücher und Geschichten trotz allem zu lieben.

Klassiker, vielleicht noch bekannt aus der eigenen Kindheit, eignen sich auch immer gut zum Vorlesen

Vorlesen: Wertvolle gemeinsame Zeit

Für mich persönlich hat sich nie die Frage gestellt, ob ich meinem Grundschulkind noch vorlesen soll oder nicht. Dafür lese ich viel zu gerne vor und nicht nur meinem Sohn ist diese Zeit wichtig. Auch mir selbst. Es ist schön, auf diese Weise noch Zeit mit dem Kind zu verbringen, das ansonsten tagsüber viel unterwegs ist und von dem man immer weniger mitbekommt. Beim Lesen aber bauen wir gemeinsame Erinnerungen auf. Wir sprechen auch im Alltag immer mal wieder über Bücher, die wir zusammen gelesen haben. Die Bücher geben uns auch Gelegenheit über Dinge zu sprechen, die uns selbst am Herzen liegen. Sie bieten die Möglichkeit miteinander ins Gespräch zu kommen und an der Art und Weise wie das Kind auf ein Buch reagiert, welche Themen es ablehnt und welche es begeistert aufnimmt, erfährt man viel über das eigene Kind. Das Vorlesen lässt uns eine enge Verbindung zueinander aufnehmen.

Bei uns ist es manchmal so, dass wir Bücher gemeinsam anfangen, der Sohn sie dann aber alleine zu Ende liest. Oder er fängt mit einem Buch selber an und dann werden Stellen zu spannend und er ist froh, wenn wir sie dann zusammen lesen. Nicht jedes Buch wird also von vorne bis hinten bei uns vorgelesen. Mal lese auch ich einen Teil vor, einen Teil liest der Sohn selber und einen Teil liest mein Mann vor. Das ist ganz unterschiedlich, so wie es gerade passt. Aber ich kann behaupten, dass sowohl dem Kindergartenkind als auch dem Grundschulkind bei uns jeden Tag vorgelesen wird.

Eins der letzten Bücher, die wir gemeinsam gelesen haben.

So lange vorlesen wie möglich

Ich kann wirklich nur jedem dazu raten, auch Grundschulkindern und gerne auch darüber hinaus, noch vorzulesen. Sei es aus Gründen der Lese- und Sprachförderung oder aus Gründen der Bindung oder einfach, weil man es liebt. Bei Kindern, die schon gut lesen können, kann man auch guten Gewissens das Vorlesen bestimmter Bücher ablehnen. Bücher, die man selbst einfach nicht mag, kann man dann dem Kind zum Selberlesen überlassen. Es gibt noch genug andere Bücher, die man dann gemeinsam entdecken kann.

So ein Buch kann ein Kind dann auch gut mal alleine lesen und für das gemeinsame Lesen wählt man dann vielleicht ein dickes Buch mit viel Text.

Ich hoffe, dass sich meine Kinder noch ganz lange vorlesen lassen. Ich weiß nicht, wie lange wir diese besondere Zeit noch haben werden, aber von meiner Seite aus wird es  Vorlesezeiten so lange geben, wie die Kinder sie haben möchten.

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