Der Mensch hinter der Kinderbuchautorin Astrid Lindgren
Wie ihr ja bereits wisst, bin ich ein großer Fan der Kinderbuchautorin Astrid Lindgren und ich lese nicht nur ihre Bücher, sondern auch vieles, was über sie und ihre Werke geschrieben wird. Besonders berührt hat mich ganz aktuell das Buch „Astrid Lindgren. Ihr Leben“, welches ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe und in einem Rutsch durchlas. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Person Astrid Lindgren. Es wird von ihrem Leben berichtet, welches von ihrer Arbeit und ihren Büchern flankiert wird. Natürlich stellt uns dieses Buch keine völlig neue Astrid Lindgren vor und viele Informationen kommen einem bekannt vor, aber hier werden häufig andere Quellen genutzt und andere Sichtweisen werden eingenommen, so dass sich dieses Buch auch für alle lohnt, die schon viel über Astrid Lindgren gelesen haben. Besonders gut gefällt mir, dass hier wirklich der Mensch Astrid Lindgren im Fokus steht. Man erfährt sehr viel privates, wobei der Blick nicht sensationslüstern ist, sondern immer respektvoll. Auch wenn man in dem Buch Schwächen von ihr kennen lernt, bleibt sie weiterhin oder vielleicht sogar erst rech ein wunderbarer Mensch mit besonderem Talent. In ihrer Art, die Sichtweise der Kinder einzunehmen, diese ernst zunehmen und sich auf Urbedürfnisse und –gefühle zu besinnen, liegt wohl ein Teil ihres Erfolgs begründet.
Das Buch stimmt allerdings auch traurig. Astrid Lindgren hat ihren Sohn, den sie unverheiratet mit 19 Jahren bekam, in den ersten Jahren zu einer Pflegemutter in Dänemark gegeben. Gerade diesem Thema wird in diesem Buch (im Gegensatz zu vielen früheren Büchern über Astrid Lindgren, in denen man kaum etwas zu diesem Lebensabschnitt erfährt) viel Raum gegeben. Beim Lesen wünscht man sich, dass Astrid Lindgren diese schmerzvollen Erfahrungen nicht hätte machen müssen. Gleichzeitig kommt dabei eine Botschaft ganz klar bei einem an: Gebt euren Kindern Liebe, schenkt ihnen Zeit und nehmt sie und ihre Gefühle ernst.
Das Buch rüttelt einen mehr auf, als es jeder Erziehungsratgeber könnte. Es berührt einen, denn für dieses Buch gilt das gleiche wie für die Werke der Autorin: Es spricht Emotionen und Bedürfnisse an, die das Leben ausmachen.
In dem Buch dürfen wir ein wenig vom Wesen Astrid Lindgrens lesen, ihre Menschlichkeit erleben, ihren Wunsch nach Ruhe und Einsamkeit spüren und ihre Sehnsucht nach ihrem abgegebenen Kind erleiden, eine Sehnsucht, die sich in dem Wunsch ausdrückt, dass alle Kinder ein liebevolles Zuhause haben.
Bei der Lektüre blutet wohl jeder liebenden Mutter das Herz, aber dennoch verurteilt man Astrid Lindgren nicht für ihre Handlungen, die sie selbst kritisch sah. Man liest von ihrer Notsituation, findet sie schrecklich und weint um Astrid Lindgren und ihren kleinen Sohn und wieder einmal wird einem bewusst, dass man Menschen, die nicht mit ihrem Kind zusammenleben können nicht einfach so verurteilen darf, auch wenn man eine solche Entscheidung in der eigenen Luxusposition nicht nachvollziehen kann. Viel mehr muss man alle Menschen bedauern, die sich scheinbar in einer aussichtslosen Situation befinden und hoffen, dass die Kinder dennoch Liebe erfahren und sie in einem geborgenen Zuhause aufwachsen dürfen. Astrid Lindgrens kleiner Lasse hat es immer gut gehabt, aber dennoch musste er oft Abschied nehmen, sich in ein neues Zuhause einfachen und die Angst verlassen zu werden überwinden. Nein, er hatte keinen einfachen Start ins Leben, aber auch mit der Mutter, die ihr Kind von Anfang an geliebt hat und keine andere Möglichkeit sah, leide ich von ganzem Herzen mit. Welch schlimme Stunden muss sie, die von sich selbst sagte, dass sie nur ihre Kinder geliebt hat, alleine in Stockholm, ohne ihren kleinen Lasse, erlebt haben? Man kann es nur erahnen.
Das Buch zeichnet ein sehr menschliches Bild von Astrid Lindgren. Ihr Talent und ihr Erfolg kommen zur Sprache, aber immer wieder wird vor allem auch hinter die Kulissen geschaut und man erfährt interessante Hintergründe und Motivationen zu ihren Werken. Darüber hinaus dürfen wir in viele persönliche Briefe an und von befreundeten Personen hineinschnuppern. Außerdem enthält das Buch viele schöne Bilder.
Etwas schade finde ich es, dass der Originaltitel geändert wurde, denn immerhin handelt es sich hier um ein Zitat, welches Astrid Lindgren viel bedeutete und welches sie im Buch „Ferien auf Saltkrokan“ verwendet hat: Dieser Tag, ein Leben. Leider wurden in dem Buch (zumindest in der ins deutsche übersetzten Ausgabe) ein paar Namen verwechselt, aber das ist letztendlich bei diesem großartigen Buch zu vernachlässigen. Ich kann es jedem, der sich ein kleines bisschen für Astrid Lindgren interessiert, nur empfehlen. Aber es ist auch ein Buch für jeden, der sich für Kinderliteratur, für die gesellschaftliche Entwicklung in Schweden und für Eltern-Kind-Themen interessiert.
Astrid Lindgren. Ihr Leben von Jens Andersen, übersetzt von Ulrich Sonnenberg, Deutsch Verlags-Anstalt, ISBN: 978-3-421-04703-8, 26,99€
Liebe Miri, mir blutet schon beim Lesen deiner Besprechung das Herz. Es muss ein sehr berührendes und tiefgründiges Buch sein, das mich sicher auch noch finden wird.
Viele Grüße, Heike
Mich hat das Buch jedenfalls weit übers Lesen hinaus beschäftigt. Ich kann es dir nur empfehlen und ich bin mir sicher, dass es dich auch sehr berühren wird. Lg