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Rezension: Das Mädchen mit den vier Namen

(Werbung/selbstgekauft) Heute möchte ich euch ein Bilderbuch zu einem Thema vorstellen, das es nur selten in Bilderbücher schafft: Der Weg eines Kindes zur (Inlands-)Adoption.

BIlderbuch zum Thema Adoption

Eine der Besonderheiten des Bilderbuchs „Das Mädchen mit den vier Namen“ von Frauke Angel, illustriert von Mehrdad Zaeri, ist, dass es zwar mehr oder wenig im gesamten Bilderbuch um dieses Thema geht, es aber auch einfach ein Bilderbuch über eine spannende Geschichte aus dem Leben eines Kindes sein kann. Es ist kein „Problem-Bilderbuch“ oder eines der wenigen Bücher zur Adoption, die als (wichtige) Hauptaussage, den Wunsch der Eltern nach einem Kind bzw. ihre Liebe zu dem Kind thematisieren. Nein, hier geht es darum, dass ein Kind ganz selbstverständlich von seiner Familie und seinen Müttern erzählt. (Spannend übrigens, dass in diesem Kontext die Väter fast nie eine Rolle spielen.) Und bei diesem Kind ist eben manches anders, als bei den meisten Kindern, aber genau deswegen lohnt es sich ja, seiner Geschichte zuzuhören.

Inhalt des Bilderbuchs

Die Geschwister Ida und Knut lernen vor dem Eiswagen das Mädchen Luna Debora Gretel Victoria kennen. Hat das Mädchen wirklich vier Namen? Ja, hat es. Es hat sogar auch vier Mütter. Da staunen Ida und Knut und wollen mehr über die Mütter und die Namen erfahren. Und Luna Debora Gretel Victoria erzählt. Sie erzählt von ihrer Bauchmama, die sie in die Babyklappe legte. Sie erzählt von ihrer Findemutter, die sie in der Babyklappe gefunden hat. Sie erzählt von ihrer Pflegemutter, die ihr jeden Abend vorgelesen hat. Und sie erzählt schließlich von ihrer Herzensmutter, deren ganze Liebe sie gewonnen hat.

Liebeserklärung an alle Mütter

Die Autorin Frauke Angel sagt über das Buch, „dieses Buch ist eine Liebeserklärung an all unsere Mütter“. Und ja, das ist es. Es zeigt, wer alles eine Mutter sein und sich um ein Kind kümmern kann. Neben den Müttern von Vicky, so wird das Mädchen in der Kurzform genannt, wird auch noch die Stiefmutter von Ida und Knut erwähnt.

Selbstverständlicher Umgang mit dem Thema Adoption

Richtig gut an dem Buch gefällt mir das Selbstbewusstsein und die Selbstverständlichkeit mit der Vicky von ihren Müttern erzählt. Adoption ist kein Makel, sondern gehört zu ihrem Leben dazu, und so vermittelt sie es hier auch. Man hat das Gefühl, dass sie mit sich und ihrem Leben zufrieden ist und dass sie eine Mutter hat, die sie liebt und bei der sie sich geborgen fühlt. Aber auch auf ihrem Weg zu ihrer „Herzensmutter“ wurde sie bereits von anderen Müttern liebevoll umsorgt.

Im ganzen Buch wird übrigens an keiner Stelle das Wort “Adoption” verwendet. Das ist auch gar nicht nötig. Kinder, die selbst adoptiert wurden, wissen wovon gesprochen wird, und andere Kinder brauchen das Wort nicht, um zu verstehen, dass das Kind eine Mutter gefunden hat, die es von ganzen Herzen liebt.

Es ist auch schön, wie ihre Namen von ihrem Leben erzählen. Jeder Name wurde ihr aus einem bestimmten Grund gegeben, und so wurde ihr von allen Müttern, die sich um sie gekümmert haben, etwas auf ihrem Lebensweg mitgegeben. Ein kleines Geschenk, das sie immer begleiten wird. Das ist ein sehr schönes Bild, vor allem, wenn man bedenkt, dass das Buch auf einer wahren Geschichte beruht.

Eine weitere Sache finde ich sehr wichtig: Das Buch ist nicht wertend geschrieben. So wird die leibliche Mutter z.B. nicht verurteilt, weil sie ihr Kind abgibt. Vicky spricht auch von ihr freundlich und als umsorgende Mutter, die sie in eine Decke gekuschelt hat.

Ein paar Gedanken zum Begriff Bauchmutter

Da ich mich mit der Thematik bereits eingehender beschäftigt habe, sind mir an dieser Stelle jedoch ein paar Sachen aufgefallen. Ich weiß, dass der Begriff „Bauchmutter“ sehr üblich bei Pflege- und Adoptivfamilien ist. Eigentlich fand ich ihn auch immer schön beschreibend und für Kinder gut greifbar. Mittlerweile habe ich jedoch gehört, dass der Begriff von Betroffenen als nicht ideal angesehen wird. Er steht im Gegensatz zum Begriff „Herzmutter“, was impliziert, dass das Kind bei der einen Mutter im Herzen und bei der anderen Mutter „nur“ im Bauch ist. Wer aber sagt, dass nicht auch die leibliche Mutter ihr Kind weiterhin im Herzen trägt? So wie von der leiblichen Mutter in dem Buch gesprochen wird, soll dieser Gegensatz nicht so aufgebaut werden, so dass vielleicht ein Begriff wie „Geburtsmutter“ etwas neutraler wäre. An einer Stelle heißt es auch, „wenn die [Bauchmutter] nicht verliebt sein kann, muss jemand anderes verliebt sein“. Aber heißt „sein Kind abgeben“, dass man nicht verliebt in das Kind ist? Kann es nicht sein, dass es der leiblichen Mutter das Herz bricht, das Kind nicht selbstaufziehen zu können? Das Buch möchte diese Möglichkeit ganz sicher nicht ausschließen. Ich vermute, dass Vicky an dieser Stelle meint, dass es wichtig ist, dass einem Baby von Anfang an Nähe und Liebe vermittelt wird, und dass dies nun jemand anderes als die leibliche Mutter übernimmt. Wahrscheinlich werden es auch die allermeisten Leser:innen so lesen, aber mir ist das eben auch im Bezug zu dem Begriff „Bauchmutter“ aufgefallen.

Mir ist klar, dass Kinder so reden, aber mich stört etwas, dass die Geschwister Ida und Knut von ihrer „richtigen“ Mutter und ihrer Stiefmutter sprechen. Man hätte das Wort einfach weglassen können und es wäre trotzdem klar gewesen, was gemeint ist. Gerade bei einem Buch mit dem Thema Adoption finde ich das Wort recht schwierig. Viele Pflegemütter und Adoptivmütter werden sicherlich in Gesprächen häufig kurz zusammenzucken, wenn andere Menschen nach der „richtigen Mutter“ ihrer Kinder fragen, und hier entsprechend empfindlich reagieren. Hier benutzt zwar ein Kind das Wort, und natürlich nimmt man einem Kind, das von seiner eigenen Mutter spricht, so etwas nicht übel, aber ich hätte es schöner gefunden, wenn an dieser Stelle darauf verzichtet worden wäre.

Kleine Verwirrungen (für erwachsene Leser) und kleine Unklarheit

Eine Kleinigkeit wundert mich ein wenig, tut aber letztendlich nichts zur Sache oder ändert etwas an der Bedeutung der Geschichte: Das Mädchen scheint recht lange bei der Pflegemutter gewesen zu sein. Im Buch erzählt Vicky, dass ihr jeden Abend „Hänsel und Gretel“ vorgelesen wurde. Sie wirkt auch auf dem Bild nicht mehr wie ein Baby. Das ist bei einer Adoption eher ungewöhnlich. Sollte es sich um eine Bereitschaftspflege handeln, so sind die Kinder dort nur kurze Zeit, und wenn es eine Pflegefamilie auf Dauer ist, dann wundert es einen, dass Vicky nicht von ihr adoptiert wurde.

Das ist natürlich nur eine erwachsene Überlegung von mir und nichts worüber Kinder nachdenken würden. Auch darüber, dass manches für ein Bilderbuch hinuntergebrochen und vereinfacht wurde (z.B. dass die Findemutter die Pflegemutter gesucht hat), kann ich hinwegsehen. Leider ist auch die Babyklappe nicht wirklich beschrieben worden. Mit dem Begriff „Klappe“ verbinden Kinder nicht unbedingt das, was damit in diesem Fall gemeint ist. Ein wenig kann hier die Illustration weiterhelfen. Allerdings sieht die Klappe hier sehr karg und ungemütlich aus. Der Schwerpunkt liegt auf der liebevollen Umsorgung durch eine Person, aber man hätte hier vielleicht auch zeigen können, dass die leibliche Mutter das Baby in ein gemütliches Babybettchen legt. Das hätte noch mehr die Zuversicht auf ein gutes Leben für das Kind gezeigt.

Illustrationen

Die Illustrationen zeigen in erster Linie die Figuren, die hier eine Rolle spielen. Zum einen sind das die interessierten Geschwister Ida und Knut sowie natürlich Vicky, aber auch der Eisverkäufer und die Mutter der Geschwister. Und dann sind da die vier Mütter von Vicky, die jeweils auf einer Doppelseite ganz im Vordergrund mit Vicky stehen. Geht es um die Kinder und ihre Interaktion, so sieht man lauter bunte Bilder, Ausschnitte vom Eiswagen etc. Geht es aber um die einzelnen Mütter, so wird auf einem einzigen großen Bild ganz der Fokus auf den Umgang der Mutter mit Vicky gezeigt. Nichts anderes lenkt davon ab. So kann man die Emotionen in diesen Momenten gut fühlen.

Ein Buch für alle Kinder

Dieses Buch ist für mich kein Buch, das sich explizit an Adoptivkinder wendet, wie es sonst bei Büchern zu diesem Thema häufig ist. Es ist ein Buch für alle Kinder, denn es erzählt einfach von einem geliebten Kind und von der Vielfalt der Familien. Selbstverständlich kann es aber als Gesprächsanlass in Adoptivfamilien genutzt werden – auch wenn die meisten Adoptivkinder sicherlich nicht so viele Namen haben. Trotzdem kann man dann natürlich darüber sprechen, wie es bei der Weg bei dem Kind war. Vielleicht gibt es ja auch noch Gegenstände aus dem Krankenhaus oder von einer möglichen Pflegefamilie, die dem Kind mitgegeben wurden. Es ist nicht unbedingt ein Buch, das Kinder besonders aufwühlt, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es Adoptiveltern emotional ordentlich aufwühlen kann. Die Vorgänge rund um eine Adoption werden durch sehr viele Emotionen begleitet – ähnlich wie bei einer Geburt, wobei noch andere Sorgen und Gedanken hinzukommen.

Fazit

Insgesamt freue ich mich sehr über dieses Buch. Ich finde das Thema wichtig und mir gefällt der Tonfall des Buches. Der Aufhänger mit den vier Namen ist klasse. Hier entsteht eine natürliche Neugier und man folgt Vicky gespannt, bei ihren Ausführungen. Es ist einfach toll, wie selbstverständlich hier von verschiedenen Müttern erzählt wird. Meine Anmerkungen sind wirklich nur als Anmerkungen und als meine Beschäftigung mit dem Buch zu verstehen.

Das Mädchen mit den vier Namen von Frauke Angel und Mehrdad Zaeri, Tulipan Verlag, ISBN: 978-3-86429-574-4, 16 €

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