ADHS: Schwierig – vor allem für die Betroffenen
Was fällt euch zum Thema ADHS ein? Ich glaube, da hat wohl jeder direkt ein paar Stichworte parat. Das Problem ist nur, dass sich die Meisten nicht wirklich damit auskennen und genau dieses verzerrte Bild in der Gesellschaft macht den Umgang mit ADHS so problematisch. Einerseits ist man ganz schnell dabei von ADHS zu sprechen, wenn man ein wilderes Kind vor sich sieht, und andererseits wird die Krankheit ADHS nicht ernst genommen. Beides ist falsch und erschwert Kindern, die wirklich ADHS haben, das Leben. Längst nicht jedes Kind, das wild und lebhaft und teilweise vielleicht auch einfach unerzogen ist, hat ADHS. Es gibt einfach aufgeweckte, wilde und tobende Kinder, die aber ansonsten keine ADHS-Symptomatik aufweisen und es gibt auch unerzogene Kinder, die sich nicht zu benehmen wissen. Aber es gibt auch Kinder, die eine liebevolle und konsequente Erziehung genießen, die aber dennoch immer wieder auffallen und Schwierigkeiten haben, Kinder, die ADHS haben und die darunter leiden, genauso wie ihr Umfeld, das sich alle Mühe gibt, aber immer wieder an Grenzen stößt und immer wieder zu hören bekommt, dass das Kind einfach unerzogen ist und sie mal härter durchgreifen müssten.
Ich gebe zu, dass ich mich dem Thema zunächst auch etwas skeptisch genährt habe, denn allzu oft, hört man viel zu vorschnell, dass das eine oder andere Kind wohl ADHS habe. Dieser Begriff wird einfach etwas überstrapaziert. Dennoch habe ich das Buch „Ich dreh gleich durch! – Tagebuch eines ADHS-Kindes und seiner genervten Leidensgenossen“ sehr interessiert gelesen. Ja, die Lektüre ist äußerst interessant und sie hilft noch einmal dabei, wirklich auf die Kinder zu schauen und zu überlegen, was wem wie helfen könnte statt zu beurteilen und zu bewerten. Das Buch lässt uns durch (fiktive) Tagebucheinträge den elfjährigen Jungen Max und seine Familie ein halbes Jahr lang begleiten. Max hat ADHS, welches jedoch noch nicht diagnostiziert wurde. Obwohl er ein herzensguter Mensch ist, der sehr hilfsbereit, gerecht und tierlieb ist, gerät er immer wieder in Schwierigkeiten, denn er kann sich nicht längere Zeit auf eine Sache konzentrieren. Seine Gedanken sind immer blitzschnell bei anderen Dingen und so vergisst er z.B. seine Materialien und lässt sich von allem Möglichen ablenken. Er reagiert impulsiv und verletzt sich außergewöhnlich oft. Er hat das Gefühl nichts auf die Reihe zu bringen, möchte aber vor seinen Freunden und in der Schule cool da stehen, was gar nicht so einfach ist und so muss er sich Sachen einfallen lassen, die ihn letztendlich wieder in Schwierigkeiten bringen. Seinen Tagebucheinträgen merkt man es an, wie schwer es ein Kind mit ADHS hat. Max bemüht sich wirklich sich anzupassen, aber immer wieder schafft er es nicht und es tut ihm unglaublich leid, wenn die Menschen aus seinem Umfeld, die es gut mit ihm meinen, wieder unter seinem Verhalten zu leiden haben. Denn auch Eltern, Geschwister, Großeltern und Lehrer haben es mit einem ADHS-Kind nicht leicht. Wie oft habe ich beim Lesen gedacht, dass ich verzweifeln würde, wenn ich ein Kind mit solchen Problemen hätte. Der ganze Alltag wird davon bestimmt. Aber Max hat sehr viel Glück. Auch wenn es einige Menschen bei ihm gibt, die kein Verständnis für ihn und sein Verhalten haben, so hat er wunderbare Eltern, die sich viele Gedanken machen, die ihn fair und auf Augenhöhe behandeln, die ihn konsequent und mit viel Liebe und Verständnis durch das Leben begleiten. Sie schreiben von vielen Schwierigkeiten und davon wie anstrengend vieles mit Max ist, aber sie sind immer für ihn da und versuchen alles, um ihm zu helfen. Außerdem hat er auch einige tolle Lehrer, die zwar froh sind, wenn sie eine Schulstunde mit ihm überstanden haben, die ihm aber auch zuhören und ihn ernst nehmen und die ebenfalls versuchen ihm zu helfen. Insgesamt habe ich gestaunt, wie viele verständnisvolle Menschen in Max Umfeld zu finden sind.
Sehr interessant finde ich es, dass man, auch wenn man sich den Stress mit Max nur allzu bildlich vorstellen kann, Max äußerst sympathisch findet und man ihm nur das Beste wünscht. Man hofft beim Lesen so sehr, dass es nicht schon wieder eine Beschwerdemail von der Schule gibt, und dass Max es schafft, sich besser einzufügen. Es ist schön, dass man in diesem Buch den Menschen Max kennen lernt und man nicht bei der ADHS-Symptomatik stehen bleibt, die irgend ein belangloses Kind mit dem Namen Max hat.
Auch wenn es sich bei diesem Buch nicht in erster Linie um ein Sachbuch handelt, so wurde in die Tagebucheinträge der Eltern, insbesondere in die der Mutter einiges an theoretischem Wissen mit Hinweisen auf weiterführende Lektüren, eingebaut.
Ich fand das Buch sehr interessant und kann es allen empfehlen, egal, ob sie engen Kontakt zu einem Kind mit ADHS haben oder nicht. Es ist ein Thema, das jeden etwas angeht, denn es geht auch darum, wie man anderen Menschen begegnet. Das Buch kann dabei helfen, andere nicht vorzuverurteilen und genauer hinzusehen.
Der Stil des Buches ist nicht unbedingt meiner. Klar, Max schreibt als Elfjähriger, aber mir gefiel die lapidare Ausdrucksweise nicht so sehr. Je länger ich aber gelesen habe, desto weniger habe ich auf den Stil geachtet und ich fand es einfach nur noch interessant, wie sich das Leben von Max und seiner Familie gestaltet.
Ich dreh gleich durch! – Tagebuch eines ADHS-Kindes und seiner genervten Leidensgenossen von Anna Maria Sanders, Gütersloher Verlagshaus, ISBN: 978-3-579-08633-0, 18,99€
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